Loslassen

Loslassen.

Der Kontakt zu einem anderen Menschen besteht meist aus vielen unterschiedlichsten Fäden, von denen der verbale, offensichtliche manchmal nicht der wichtigste ist.
Durch uns alle fließen in jeder Sekunde die interessantesten Empfindungen, auf die es sich zu achten lohnt.
Es sind dann oft die einfachsten Fragen, die uns das Wichtigste über den anderen erzählen, ohne dass derjenige es laut sagen braucht. Zum Beispiel die Frage: Wie geht es mir gerade im Kontakt mit dem anderen Menschen?
Manchmal merke ich im Kontakt mit dem Gegenüber zunächst eine zunehmende Unruhe, Herzklopfen, ich fühle mich innerlich kühl oder hohl und spüre eine Verspannung im Nacken und Kopfschmerzen.
Gibt es etwas, das der Mensch versucht festzuhalten? Gibt es ein Spannungsfeld, in dem er oder sie sich bewegt? Versucht er oder sie immer wieder, es den anderen recht zu machen, und arbeitet so sehr an diesen Fronten, dass der Kern immer leerer wird?
Es kann aber auch eine konstant angespannte Bauchdecke sein, als müsse man sich ständig gegen etwas wappnen.
Warum kann sich dieser mittige Teil des Körpers nicht entspannen? Wurde der Mensch vielleicht irgendwann verletzt? Hat er Angst, nicht zu genügen?

Wenn sich ein verkrampftes, angespanntes Gefühl breit macht, mit ebendieser zentralen Leere, macht es manchmal Sinn, zunächst eine Imaginationstechnik des inneren Loslassens zu versuchen.
All das, was man meint, tun zu müssen,
all das, was man meint, sein zu müssen,
wird für einen Moment
losgelassen.
Was sich dann bilden kann, ist ein zartes Gefühl der inneren Zentrierung:
Indem ich das, was mich im System gefühlt festzurrt, innerlich loslasse, fange ich an, mich wieder zu spüren.

Dieser Prozess ist mit manchmal mit Angst verbunden. Vieles, was wir festhalten, gibt uns vielleicht auch ein Gefühl von Sicherheit. Es verleiht unseren Perspektiven ihre Struktur, und unseren Plänen ihr Material. Aber was wir häufig nicht mit einkalkulieren, ist die unsagbar schmerzhafte Erfahrung, dass wir einander nicht festhalten können. Vor allem nicht im emotionalen Sinn.
Dies macht unser Leben unberechenbar, unplanbar und unbeständig.
Wir versuchen uns, stattdessen vielleicht an Dingen festzuhalten, die nicht so wechselhafter Natur sind. Die Arbeit kann manchmal ganz gut herhalten, und nicht selten ist dies der Grund für eine sogenannte Burnout-Symptomatik: Wenn andere Bereiche im Leben uns verunsichern, wegbrechen oder in uns unangenehme Gefühle verursachen, erfolgt ein Energie-Shift zur Arbeit.
Dennoch finden wir da auch nicht ganz, was wir eigentlich ersehnen: ein Gefühl von Gehaltensein im Leben. Ein Gefühl von Vertrauen.
Und Vertrauen heißt, die Augen zu schließen, um hinspüren zu können.
Vertrauen heißt, loszulassen.

✒ Helena Etzold (geb. Kukolja)